Kreisverband Kiel

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Der Kreisverein, später Kreisverband Kiel der SPD wurde am 4. Oktober 1945 gegründet. Er umfasst aktuell 17 Ortsvereine mit ca. 1.600 Mitgliedern.

Vorgeschichte

Hauptartikel: Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel Die Vorgängerorganisation des Kreisverbands Kiel war der Sozialdemokratische Verein Groß-Kiel, der von 1911 bis zur Zerschlagung durch die Nationalsozialisten 1933 bestand. Die Geschichte der organisierten Sozialdemokratie reicht in Kiel jedoch zurück bis 1870 oder 1871, als Stephan Heinzel begann, hier eine Organisation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) aufzubauen.

Wiederaufbau

Bereits seit Januar 1945 trafen sich alte Mitglieder in so genannten "Stubenzirkeln", um die Wiedergründung der Partei vorzubereiten. Mit dabei waren unter anderen Wilhelm Kuklinski, Otto Engel und Albert Witte. Nachdem am 5. Mai britische Truppen die Stadt erreichten und der Krieg für Kiel beendet war, gründeten die Kieler Genossinnen und Genossen wie vielerorts im Land einen Gewerkschaftsausschuss - eine "Antifa" - mit Gewerkschaftern und Kommunisten und besetzten das Gewerkschaftshaus.[1] Zur Antifa gehörten auch die früheren SPD-Funktionäre Bruno Diekmann, Theodor Werner und Karl Ratz - weitere Führungspersonen aus der Zeit vor 1933 standen allerdings noch nicht zur Verfügung. So gab es keine offensichtlichen Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters. Gertrud Völcker schlug den Marinerichter Otto Tschadek vor. Der hatte beim Wiederaufbau der SPD in Kiel mitgewirkt, ging jedoch bald zurück, um in seiner Heimat Wien Politik zu machen. So war er nur für knapp einen Monat eingesetzter Oberbürgermeister von Kiel.

Otto Tschadek gehörte zu den Gegnern einer Einheitspartei aus SPD und Kommunisten, die zu dieser Zeit als Idee kursierte. Er kritisierte vor allem das Demokratieverständnis der Kommunisten: "Die Demokratie ist nicht nur ein taktisches Mittel, um zum Sozialismus zu gelangen, sie ist Teil des Zieles, für das wir kämpfen."[2] Diese Haltung teilte er mit Andreas Gayk und Kurt Schumacher, der von Hannover aus die Führung der Partei in den Westzonen übernahm. Über ihn berichtete Otto Engel, er habe bei einem Besuch bei Karl Ratz in Kiel gesagt: "In den Betrieben kann mit Kommunisten nicht lange gefackelt werden, es muß im rechten Augenblick ein Schraubenschlüssel geflogen kommen."[3]

Führende Kieler Genossen hatten zunächst Möglichkeiten ausgelotet, die als schädlich empfundene Spaltung der Arbeiterbewegung durch Bildung einer Einheitsfront oder sogar - wie in der sowjetischen Zone geplant - durch eine Einheitspartei zu beenden. Sie hatten Gespräche mit kommunistischen Funktionären geführt, einige davon ehemalige Sozialdemokraten, und sogar eine gemeinsame Erklärung mit den Kommunisten veröffentlicht. Diesen Bestrebungen setzte schon im nächsten Monat der Einfluss von Schumacher und Gayk, vielleicht auch das gegenseitige Misstrauen, das aus den Aufzeichnungen über den Verlauf der Gespräche deutlich wird, ein Ende.

Otto Engel

Otto Engel berichtete über die Wiedergründung:

"Am 4. Oktober 1945, also 14 Tage vor der Gründung unserer Partei in Hannover, fand dann im früheren Versammlungslokal des Distrikts West in Stender's Gasthof am Lehmberg die nunmehr endlich durch die Engländer gestattete Gründung der Kieler SPD statt. Dort wurde auch der erste Vorstand gewählt - von der Versammlung aller Stubengruppen der Distrikte, ungefähr 100 Personen. Die Genossen wählten Karl Ratz zum 1. Vorsitzenden, Richard Tiede zum 2. Vorsitzenden, Ernst Prey zum Kassierer, Ludwig Stahl zum Kulturleiter, Hermann Köster zum Jugendleiter, eine Frauenvorsitzende [dies war Gertrud Völcker[4]] und eine Reihe von Beisitzern. Ich wurde von der Gründungsversammlung dann auch zum hauptamtlichen Sekretär gewählt."[5]

Die britische Militärregierung hatte den Deutschen nach der Kapitulation jegliche politische Betätigung untersagt. Trotzdem trieb der Gewerkschaftsausschuss den Wiederaufbau der Parteistrukturen weiter voran. Erste öffentliche Veranstaltungen fanden rasch statt, so dass sich Ortsvereine und Kreisverband schon vor der offiziellen Zulassung durch die Briten Ende 1945 konstituieren konnten.

Am 6. Dezember 1945 trat auch die erste von den Briten ernannte Ratsversammlung zusammen. Der SPD-Fraktion gehörten u.a. Bruno Diekmann, Andreas Gayk, Toni Jensen und Gertrud Völcker an. Auf der politischen Tagesordnung von Partei und Fraktion standen ganz vorn die Behebung der Wohnungsnot und der wirtschaftliche Wiederaufbau, nicht zuletzt durch die Reaktivierung der Werften.[6]

Die Ära Gayk - Kiel wird aufgeräumt

Andreas Gayk, 1950

In den Jahren nach Ende der NS-Diktatur war Andreas Gayk die dominierende Figur der SPD in Kiel und in ganz Schleswig-Holstein: Landesvorsitzender, Vorsitzender der Landtagsfraktion und Kieler Oberbürgermeister in einer Person. Er organisierte den Wiederaufbau der Stadt, die als "Reichskriegshafen" von 90 britischen Luftangriffen großflächig zerstört worden war. Es gab kaum Wohnraum für die in die Stadt zurückdrängenden Evakuierten und die täglich eintreffenden Flüchtlingstransporte.

Zerstörtes Kiel, 1944

Die Wirtschaft war schon seit der Kaiserzeit hauptsächlich Kriegswirtschaft gewesen, zum großen Teil Schiffbau und Zulieferbetriebe. Was nach dem 2. Weltkrieg an Industrieanlagen noch übrig war, sollte demontiert und nach Großbritannien gebracht werden. Es gab durchaus Pläne, Kiel in ein kleines "Fischerdorf" zurückzuschrumpfen.[7].

Protestkundgebung gegen Demontagen mit Karl Ratz und Andreas Gayk

Andreas Gayk und sein Oberstadtdirektor Walther Lehmkuhl organisierten den parteiübergreifenden Widerstand gegen die Demontage von Industriebetrieben durch die Briten. Gleichzeitig arbeiteten sie daran, zivile Betriebe nach Kiel zu holen, mit denen die städtische Wirtschaft eine "friedenswirtschaftliche" Grundlage erhielt. Die Universität wurde wieder eröffnet. Unter Andreas Gayk wurde Kiel schneller von Trümmern geräumt als viele andere Städte in Deutschland. Mit Hilfe des Pinneberger Landrats Walter Damm ließ er die Trümmerfelder von Schülerinnen und Schülern mit jungen Bäumen bepflanzen.

Er initiierte eine Städtefreundschaft mit der von deutschen Bomben schwer zerstörten englischen Stadt Coventry und konzipierte die "neue" Kieler Woche als Friedensveranstaltung.

In dieser Zeit war Karl Ratz Kreisvorsitzender und gleichzeitig Lizenzträger der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung, die ab 1946 wieder erschien.

1954 starb Andreas Gayk, 1958 auch der Kreisvorsitzende Karl Ratz. Im Übergang zum "Wirtschaftswunder" stand die Kieler SPD unter der Leitung von Hans Schröder, einem Weggefährten der beiden Verstorbenen. Er übergab das Ruder 1963 an einen weiteren aus der Kriegsgeneration, Hermann Köster.

Modernisierung

Übergabe der zehnmillionsten neu gebauten Wohnung in der BRD, in Mettenhof 1967

Anfang der 1960er waren die Trümmer des Krieges weitgehend beseitigt. Die Narben im Stadtbild blieben jedoch, und es fehlten immer noch geschätzte 17.000 Wohnungen.[8] Die Zer­stö­run­gen wur­den von Stadt­pla­nern auch als Chance gese­hen: Viele der geschol­te­nen Miets­ka­ser­nen waren zer­stört; an ihrer Stelle konn­ten nun die Ideen von groß­zü­gi­gen Anla­gen, Straßen und Wohn­häu­sern umgesetzt werden. Ab 1965 baute die stadteigene KWG einen neuen Stadtteil nach diesen Idealen: Mettenhof. Autogerecht sollte er sein, gleichzeitig sollte kein Haus an einer großen Straße liegen, dazwischen viel Grün. Kein pseudo-historischer Prunk mehr, sondern der moderne Chic des Bauhauses samt Vollbad und Zentralheizung - während die Altbauten noch lange mit Klo auf halber Treppe und Kohleöfen leben mussten.[9]

Walter-Damm-Haus, 1965

1964 zog die SPD aus dem Gewerkschaftshaus in ein eigenes Haus um: Am Kleinen Kuhberg 28-30 wurde die neue SPD-Landesgeschäftsstelle samt Kieler Kreisbüro eingeweiht. Im Jahr darauf trat Günther Bantzer sein Amt als Oberbürgermeister an, das er 15 Jahre lang ausfüllen sollte, bis 1980.

Die Ära Bantzer

Günther Bantzer, 1971

1968 stellte die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, die zuletzt den Titel VZ - Kieler Morgenzeitung trug, nach mehr als 90 Jahren ihr Erscheinen endgültig ein. Die SPD verlor ihre publizistische Stimme in der Stadt. Jetzt gab es in Kiel nur noch eine im Selbstverständnis überparteiliche, tatsächlich aber bürgerlich-konservative Tageszeitung.

Die Struktur der Kieler SPD hatte mit der Entwicklung der Stadt nicht Schritt gehalten. Im Einzugsbereich des Ortsvereins Kiel-Nord wohnten zum Beispiel 29.000 Menschen, in dem des Ortsvereins Suchsdorf nur 7.000. Deswegen reformierte der Kreisvorstand 1971/72 auf Empfehlung einer "Projektgruppe Organisationsreform" unter der Leitung von Hans Burghard seine Organisation. Die Projektgruppe war der Auffassung:

"Durch die Teilung übergroßer Ortsvereine steigt zwangsläufig die Zahl verantwortlicher und aktiver Funktionäre. Es werden überschaubare Gebietsgrößen geschaffen, die gleichzeitig eine intensive Betreuung der Mitglieder und der Wähler ermöglichen. Ortsvereine mit einer überschaubaren Größe haben einen prozentual besseren Versammlungsbesuch; je kürzer umso besser ist der Weg zum Versammlungslokal."[10]

Innerhalb von eineinhalb Jahren wurde - auch unter Berücksichtigung neu zugeschnittener Kommunalwahlkreise - der größte Teil der Ortsvereine neu festgelegt und als zu groß angesehene geteilt. Danach umfasste der Kreisverband 24 statt 20 Ortsvereine. Es gab auch Widerstände: Die Teilung des Ortsvereins Elmschenhagen scheiterte am Widerstand der Basis. Die nach Fertigstellung des Stadtteils Mettenhof geplante Teilung des Ortsvereins Mettenhof/Hasseldieksdamm wurde bis heute nicht durchgeführt.

1970 erreichte der Generationswechsel den Kreisverband. Der neue Vorsitzende, Karl-Heinz Luckhardt, kann als erster Vertreter der Nachkriegsgeneration in diesem Amt gesehen werden. Er beschrieb die neue Situation:

"Zur Kommunalwahl am 24. März 1970 trat die [Kieler] SPD mit einer Mannschaft an, die weniger altbekannte Persönlichkeiten enthielt als in den Wahlen davor. Parteiintern wurde die Befürchtung geäußert, daß damit das Wahlergebnis von 1966 kaum verbessert werden kann. Ich hatte als neuer Spitzenkandidat nicht denselben Bekanntheitsgrad wie der Genosse Hermann Köster in seiner Rolle als Stadtpräsident.
Was kaum jemand erwartet hatte, trat dann ein: Mit 53,6% der Stimmen und 30 von 49 Sitzen erreichte die SPD in Kiel das beste Kommunalwahlergebnis seit Kriegsende."[11]
Ida Hinz

Eine der Neulinge war Heide Simonis. Die spätere Ministerpräsidentin trat 1971 mit 28 Jahren ihr erstes öffentliches Amt als Ratsfrau an. Und noch eine Neuerung gab es: Die Kieler Ratsversammlung wählte die Sozialdemokratin Ida Hinz zu bundesweit ersten Stadtpräsidentin.

"Ostpolitik"

Mit seiner Ratsmehrheit leitete der Kreisverband Kiel neben der Bundespartei seine eigene Ostpolitik in die Wege: Im Oktober 1971 fanden in Kiel "Polnische Tage" statt, in denen der Nachbar an der Ostsee Gelegenheit hatte, sich mit Wirtschaft, Industrie, Kultur, Sport und anderem ausgiebig vorzustellen.[12] Im Gegenzug fanden in Gdynia im Oktober 1972 die "Kieler Tage" statt, auf denen sich Kiel präsentieren konnte. Vom deutschen Botschafter wurde dies als "Modellfall für weitere Veranstaltungen gleicher Art in beiden Ländern" gewürdigt.[13]

Auch nach Rostock knüpfte Kiel ab 1973 mit der Beteiligung an der dortigen Ostseewoche Kontakte. Eine Städtepartnerschaft kam zwar nicht zustande. Doch trotz gelegentlicher Irritationen konnte Bürgermeister Achim Barow 1975 feststellen: "Der deutsch-deutsche Dialog klappt auch ohne formelle Partnerschaft."[14]

Kampf um die "Schule für Alle"

Bereits seit 1968 kämpfte die Kieler SPD für eine integrierte Gesamtschule in Mettenhof. Mit ihrer Ratsmehrheit beauftragte sie den Magistrat, bei der CDU-Landesregierung eine entsprechende Genehmigung einzuholen. Der Ortsverein Mettenhof/Hasseldieksdamm lud die Anwohner zu Informationsveranstaltungen ein. Die Landtagsfraktion unterstützte mit einem eigenen Antrag. Trotz einer Zusage des Ministerpräsidenten konnte sich die CDU-Mehrheit im Landtag jedoch nicht zu einer Zustimmung durchringen.

IGS Kiel-Friedrichsort, 1975

Am 27. August 1970 beschloss die Ratsversammlung die Einrichtung einer integrierten Gesamtschule in Friedrichsort. In mühseligen Verhandlungen musste sie der CDU-Landesregierung abgetrotzt werden - landesweit war es erst die zweite Schule dieser Art. Karl Heinz Luckhardt schrieb 1978:

"Nach den Vorstellungen der Kieler Sozialdemokraten ist die "Integrierte Gesamtschule Kiel-Friedrichsort" Modell für die Neugliederung des Schulwesens in der Landeshauptstadt. Wir halten diese Schulform für das System, das Freiheit, Gleichheit und Solidarität - und damit gleiche Lebenschancen - verwirklichen kann. Die ersten sehr guten Erfahrungen haben gezeigt, wie man aus der bildungspolitischen Sackgasse des dreigliedrigen Schulsystems herauskommen kann."[15]

Die IGS Kiel-Friedrichsort wurde 1975 eingeweiht. Der Schulneubau bot 42 Klassen mit 1260 Schülern Platz für innovatives Lernen.

Kieler Landtagskandidaten, 1971

Nach der Landtagswahl 1971 war Kiel mit acht Abgeordneten im Landtag vertreten: Karl Heinz Luckhardt für Kiel-Nord, Alfred Prezewowsky für Kiel-West, Jochen Steffen für Kiel-Ost, Leo Langmann für Kiel-Süd, Rosemarie Fleck für Kiel-Mitte sowie Manfred Hansen, Hans Gerhard Ramler und Hans Schwalbach über die Landesliste.

Die Olympischen Spiele 1972

Olympisches Feuer in Schilksee

Die Ausrichtung der Segelwettbewerbe der Olympischen Spiele 1972 bestätigte nicht nur Kiels internationalen Ruf als führende Segelstadt. Olympia löste auch eine rege Bautätigkeit aus und brachte die Stadtentwicklung und die Anbindung an das überregionale Verkehrsnetz voran. Damals wurden das Olympiazentrum in Schilksee und der ZOB am Hauptbahnhof gebaut, im Kieler Opernhaus die letzten zerstörungsbedingten Einschränkungen beseitigt, die Kiellinie angelegt, der Rathausplatz umgestaltet und die Fußgängerzone Holstenstraße um den Alten Markt an der Nikolaikirche erweitert. Außerdem erhielt Kiel endlich (und in letzter Minute) eine Autobahnanbindung; nach Norden wurde die Prinz-Heinrich-Brücke über den Nord-Ostsee-Kanal durch eine moderne Brücke ergänzt. Die SPD Kiel und ihr Oberbürgermeister Günther Bantzer trieben die Olympia-Bewerbung maßgeblich voran und gestalteten die Modernisierung der Stadt. Günther Bantzer hatte keine Zweifel:

"Die ganzen Investitionen mit Hilfen von Bund und Land haben Kiel auf einen Schlag um Jahrzehnte vorangebracht. Aus der Provinzstadt wurde plötzlich so etwas ähnliches wie eine Metropole."[16]
"Die Stadt investierte in Bauten, die mit den sportlichen Spielen verbunden sind, 6,5 Millionen Mark; wenn das Feuer erloschen ist, bleiben Einrichtungen im Gegenwert von rund 90 Millionen Mark -- die durch Spenden von allen Seiten zusammengetragen wurden."[17]
Hartmut Lippe übernimmt 1977 den Kreisvorsitz von Claus Möller. Hermann Köster gibt Ratschläge.
Bei der Bundestagswahl 1972 wurde der 29-jährige Norbert Gansel das erste Mal in den Bundestag gewählt und blieb Kiels direkt gewählter Abgeordneter bis 1997. Der Generationswechsel war gelungen - auch junge Vorsitzende waren Normalität. Auf [Karl Heinz Luckhardt]] folgte 1975 der zehn Jahre jüngere Claus Möller, auf ihn 1977 Hartmut Lippe, der erste nach dem Ende der NS-Herrschaft geborene Kreisvorsitzende.

1980er Jahre

Integration wird wieder eine Herausforderung

"Klarer Kurs für Kiel" - Plakat zur Kommunalwahl 1982

Nach den Kriegsflüchtlingen hat Kiel seit 1960 eine weitere Gruppe Neubürger bekommen: Die Gastarbeiter: "In Kiel leben über 13000 Ausländer, davon über 60 Prozent aus der Türkei. Ein großer Teil der Ausländer wird und will auf Dauer oder zumindest langfristig in der Bundesrepublik bleiben," stellt die SPD Kiel im Programm zur Kommunalwahl 1982 fest. "Deshalb ist die Eingliederung der Ausländer in unsere Gesellschaft ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel, dem sich niemand entziehen kann." Die Ausländer sollten an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligt werden - vor allem kämpfte die Kieler SPD mit der CDU-Landesregierung um Flexibilität im Schulwesen, um reine "Ausländerklassen" und damit Ausagrenzung zu verhindern. Auch für Gaarden forderte sie deswegen eine Gesamtschule und eine bessere Verteilung der Familien mit Migrationshintergrund über das gesamte Stadtgebiet: "Die Konzentration von Ausländern in wenigen Wohngebieten entspricht weder dem Wunsch der deutschen noch der ausländischen Bewohner. Auf die Wohnungsbaugesellschaften muß deswegen eingewirkt werden, daß ausländische Familien entsprechend ihrer besonderen Problemlage bei der Wohnungsvergabe angemessen berücksichtigt werden."[18]

1984 beschloss die Kieler SPD umfangreiche Perspektiven der Ausländerpolitik in Kiel.[19] Vorsitzender war - nach einem kurzen Zwischenspiel von Norbert Gansel - wieder Claus Möller. Bis zum Beginn des neuen Jahrtausends wurde eine Amtszeit von etwa vier Jahren die Norm; Peter Andersen und Rolf Selzer blieben jeweils vier Jahre, Rolf Fischer fünf, Andy Mitterer wieder vier.

1990er Jahre

Cathy Kietzer, 2007
Ende der 1990er Jahre führte die SPD-geführte Landesregierung die Direktwahl für Bürgermeister und Landräte ein. Norbert Gansel, der Kiel seit 1972 im Bundestag vertrat, kandidierte für die SPD. Dies war auch ein Werk des neuen Kreisvorsitzenden Rolf Fischer.

Am 26. Mai 1997 wählten die Kielerinnen und Kieler Norbert Gansel im ersten Wahlgang mit 61% der Stimmen zum Oberbürgermeister. In seine Amtszeit fiel unter anderem die Entwicklung der Hörn. Der Teilverkauf der Stadtwerke Kiel und der Verkauf der Kieler Wohnungsbaugesellschaft dienten der (kurzfristigen) Sanierung des städtischen Haushalts. Zudem verbesserte Norbert Gansel nachhaltig das Verhältnis der Stadt zur Bundeswehr und zur Universität. Mit der - wenn auch erfolglosen - Olympiabewerbung für 2012 polierte er Kiels Image als internationale Segelstadt weiter auf.[20]

Die Wahlrechtsreform machte es auch möglich, dass die gebürtige Dänin Cathy Kietzer für die Ratsversammlung kandidieren und 1998 und 2008 sogar zur Stadtpräsidentin gewählt werden konnte.

Das 21. Jahrhundert

Frank-Walter Steinmeier eröffnet mit Rolf Fischer den Kommunalwahlkampf 2008
Das neue Jahrhundert begann unerfreulich für die SPD. Zwar übernahm in der Person von Andy Mitterer eine neue Generation das Ruder (d.h. den Kreisvorsitz), doch reichte dies nicht aus, um den wachsenden Problemen beizukommen. Neben der "Großwetterlage" führten in Kiel Konflikte zwischen Oberbürgermeister, Ratsfraktion und Kreispartei, die auch in die Öffentlichkeit drangen, zum Verlust der Kommunalwahl und der OB-Wahl mit dem Kandidaten Jürgen Fenske; Kiel wurde eine Wahlperiode lang von einer schwarz-grünen Koalition und einer CDU-Oberbürgermeisterin regiert. Durch mehrere verlustreiche Wahlkämpfe war die Partei auch finanziell stark geschwächt. In dieser Situation übernahm Rolf Fischer erneut den Kreisvorsitz und konnte mit einem stabilen Leitungsteam auch die Partei wieder stabilisieren.

In der Opposition schärfte die "Stadt-Partei" ihr Profil, sanierte die Finanzen und konnte durch einen engagierten Wahlkampf nach der Kommunalwahl 2008 zusammen mit den Grünen wieder die Mehrheit bilden.

Am 15. März 2009 gelang dann Torsten Albig mit 52,1% der Stimmen gegen die Amtsinhaberin die Wahl zum Kieler Oberbürgermeister im ersten Wahlgang. Dieses Amt gab er vorzeitig wieder auf, denn 2012 wurde er an der Spitze der "Küstenkoalition" aus SPD, Grünen und SSW zum Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein gewählt.

Parteijubiläum

Die Feiern zum 150jährigen Bestehen der SPD eröffnete Parteivorsitzender Sigmar Gabriel mit einer Rede in Kiel am 7. März 2013. Auch aus dem Kreisverband beteiligten sich Gliederungen und Personen mit eigenen Aktionen, nicht zuletzt zum "Tag der Ortsvereine", aber auch schon mit Blick auf den Kommunalwahlkampf. Viele Aktionen sind dokumentiert unter Kreisverband Kiel - 150 Jahre SPD.

Die "Juso-Generation"

Kreisvorstand 2018
Im Februar 2013 übernahm Jürgen Weber den Kreisvorsitz; er wurde im Juni 2018 von der ersten weiblichen Kreisvorsitzenden abgelöst - Gesine Stück, die einen stark verjüngten Kreisvorstand führt. Getrübt wurde das Ergebnis durch den Umstand, dass ihr - zusammen mit Christina Schubert - frisch gewählter Stellvertreter Thomas Wehner unerwartet starb, ohne sein Amt antreten zu können. Zu seinem Nachfolger wurde im März 2019 Frederik Digulla gewählt.

Schon in der Kommunalwahl 2018 hatte die Juso-Generation ihren Anspruch auf Mitwirkung nachdrücklich angemeldet und vielfach durch gute Wahlergebnisse durchgesetzt. Einige verloren unglücklich, vor allem an die Grünen, aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß auch sie im Laufe der Legislaturperiode die Möglichkeit bekommen, sich zu beweisen.

Mitgliederentwicklung

Kieler Ortsvereinsgrenzen 2018

Die Kieler SPD war und ist eine Mitgliederpartei. Sie lebt vom Einsatz, den Aktivitäten und der Diskussionsfreude vieler ihrer Mitglieder. Selten nur bildeten sich - durch besondere personelle Konstellationen oder durch Mitgliederverluste - Züge einer Funktionärspartei heraus; sie verschwanden bald wieder.

Die Mitgliederverluste der letzten Jahre stellen keine Kieler Besonderheit dar. Sie entsprechen der Mitgliederentwicklung der Parteien insgesamt. Mittlerweile gibt es auch wieder einen positiven Trend. Er begann - bundesweit - mit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten im Januar 2017. Ende 2017 zählte der Kreisverband 1629 Mitglieder, 80 mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres - ein Zuwachs wie seit den Zeiten von Willy Brandt nicht mehr.[21] Selbst verlorene Wahlen konnten diese Entwicklung nicht stoppen. 2018 blieb die Zahl der Mitglieder nahezu unverändert. Und noch eine stabile Größe: Seit langem sind ein Drittel von ihnen Frauen.

  • 1954 - 2346 Mitglieder [22]
  • 1963 - 8092 Mitglieder (2736 w = 33,8%, 5356 m = 66,2%)[23]
  • 1968 - 6038 Mitglieder [24]
  • 1969 - 4550 Mitglieder
  • 1971 - 4801 Mitglieder
  • 1977 - 4055 Mitglieder
  • 1986 - 3647 Mitglieder [25]
  • 1987 - 3671 Mitglieder [26]
  • 1988 - 3816 Mitglieder (1309 w = 34,3%, 2507 m = 65,7%) [27]
  • 1989 - 3803 Mitglieder (1317 w = 34,6%, 2486 m = 65,4%) [28]
  • 1990 - 3692 Mitglieder (1277 w = 34,6%, 2415 m = 65,4%) [29]
  • 1991 - 3537 Mitglieder (1249 w = 35,3%, 2288 m = 64,7%) [30]
  • 1994 - 3072 Mitglieder (1090 w = 35,5%, 1982 m = 64,5%) [31]
  • 1995 - 2831 Mitglieder (1024 w = 36,2%, 1807 m = 63,8%) [32]
  • 1997 - 2571 Mitglieder [33]
  • 1998 - 2562 Mitglieder [34]
  • 2000 - 2362 Mitglieder (852 w = 36,1%, 1510 m = 63,9%) [35]
  • 2015 - 1553 Mitglieder (527 w = 33,9%, 1026 m = 66,1%) [36]
  • 2016 - 1549 Mitglieder (534 w = 34,5%, 1015 m = 65,5%) [37]
  • 2017 - 1629 Mitglieder (550 w = 33,8%, 1079 m = 66,2%) [38]
  • 2018 - 1628 Mitglieder (548 w = 33,7%, 1080 m = 66,3%) [39]

Literatur

  • Brecour, Wilhelm: Die Sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel o. J. [1932]) (Neudruck in Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Kiel 1983)
  • Fischer, Rolf: "Der Bahn, der kühnen, folgen wir ...". Stephan Heinzel und der Aufstieg der Kieler SPD (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band I, 1863-1900)(Malente 2010) ISBN 3-933862-42-6
  • Fischer, Rolf: Mit uns die neue Zeit! Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2, 1900-1920)(Kiel 2013) ISBN 978-3-86935-196-4
  • Fischer, Rolf: Die dunklen Jahre. Kiels Sozialdemokratie im Nationalsozialismus (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 4, 1930-1945)(Kiel 2017)
  • SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): 1863-1978. 115 Jahre Sozialdemokratie. Festschrift der Kieler Sozialdemokraten (Kiel 1978)

Links

Kreisverband Kiel
Kreisverband Kiel
Kreisverband Kiel
Gegründet: 1865 als Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel
Wiedergegründet: 1945
Vorsitzende/r: Gesine Stück
Homepage: http://spd-kiel.de
Beschlussdatenbank: http://ki.beschluesse.spd-schleswig-holstein.de/


Überblick

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Quellen

  1. Martens, Holger: SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959 (Malente 1998), S. 33
  2. Martens, Holger: SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959 (Malente 1998), S. 37
  3. SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): Sozialdemokratie, S. 21
  4. Gertrud Völcker: Erinnerungen - 50 Jahre Öffentlichkeitsarbeit, Bd. I (Unveröff. Typoskript, Kiel 1974), S. 47
  5. SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): Sozialdemokratie, S. 21
  6. So Kreisvorsitzender Rolf Fischer 2005 in seiner Rede zur Mitgliederehrung und zur Erinnerung an die Wiedergründung der Partei 1945.
  7. Vgl. Rickers: Erinnerungen, S. 271
  8. Bur­meis­ter, Robert: 25 Jahre Mettenhof (Kiel 1990)
  9. Voß, Steffen: Großwohnsiedlungen und ihre Stigmatisierung (2004), S. ?
  10. SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): Sozialdemokratie, S. 28 f.
  11. SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): Sozialdemokratie, S. 28 f.
  12. Zahlreiche Berichte in den KN im Oktober 1971.
  13. Das Tor wurde weit aufgemacht, KN, 10.10.1972
  14. Rainer Burchardt: Ostseewoche in Rostock: Dialog klappt, DIE ZEIT, 18.7.1975
  15. SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): Sozialdemokratie, S.
  16. Olympischer Schluck aus der Pulle, Kieler Nachrichten, 2.9.2012
  17. DER SPIEGEL: „Große Begeisterung ist da nicht da“, 10.07.1972
  18. SPD Kiel (Hrsg.): Perspektiven: Kommunalpolitisches Programm der Kieler SPD, beschlossen vom Kreisparteitag am 1.11.1981
  19. SPD Kiel (Hrsg.): Kommunalpolitische Perspektiven der Ausländerpolitik in Kiel, beschlossen vom Kreisparteitag am 31.3.1984
  20. kiel.de Kiel gratuliert: Alt-Oberbürgermeister Norbert Gansel wird 75, 570/3. August 2015/ang
  21. Kieler Nachrichten, 21.2.2017, S. 25
  22. Steffen-Gutachten, AdsD/SH-14
  23. Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 21.1.1963
  24. Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 5.2.1968
  25. Jahresbericht SPD-Kreisverband Kiel 1991/1992
  26. Jahresbericht SPD-Kreisverband Kiel 1991/1992
  27. Jahresbericht SPD-Kreisverband Kiel 1991/1992
  28. Jahresbericht SPD-Kreisverband Kiel 1991/1992
  29. Jahresbericht SPD-Kreisverband Kiel 1991/1992
  30. Jahresbericht SPD-Kreisverband Kiel 1991/1992
  31. Jahresbericht zum Kreisparteitag am 4.3.1995
  32. Jahresbericht zum Kreisparteitag am 1.6.1996
  33. Bericht des Schatzmeisters vom 12.9.2000
  34. Bericht des Schatzmeisters vom 12.9.2000
  35. Bericht des Schatzmeisters vom 12.9.2000
  36. SPD-Landesvorstand: Stark im Norden. Bericht zum ordentlichen Landesparteitag am 14. und 15. März 2015 in Neumünster, S. 14
  37. Stand am 31.12.2016, Mavis, Mitgliederverwaltung der SPD
  38. Stand am 31.12.2017, Mavis, Mitgliederverwaltung der SPD
  39. Stand am 31.12.2018, Mavis, Mitgliederverwaltung der SPD